Theater Transit zeigt ein biografisches Stück über Flucht

Theater Transit zeigt ein biografisches Stück über Flucht

Darmstädter Echo / Stefan Benz (24.09.2018)

Das Theater Transit feiert Premiere im Darmstädter Mollerhaus:
Im Solo „Illegal ein Leben lang“ geht Ann Dargies auf die Suche nach den Spuren ihres Vaters.

Foto: Theater Transit

DARMSTADT – Wir brauchen mehr Kontrolle an den Grenzen. Da kommen Leute, die sich falsche Identitäten zulegen. Man denke nur an Anis Amri, den Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz. Dagegen ist in der aktuellen Migrationsdebatte nicht leicht zu argumentieren. Theater Transit versucht es gar nicht erst. Die neue Produktion „Illegal ein Leben lang“ erzählt „eine wahre Geschichte“: von einem Mann, der nach Deutschland kam und den Namen eines Toten annahm. Und ein zentraler Satz lautet nüchtern: „Es ist eine Illusion zu glauben, Menschen seien in bestimmten Situationen nicht zu allem fähig.“

Zu sehen ist hier die Familiengeschichte der Theatermacherin Ann Dargies, die nach anderthalb Jahren Vorbereitung nun am Samstag im Theater Mollerhaus Premiere hatte. Der Vater war unter Stalin 1940 ins Lager geschickt worden, kam erst 1947 wieder raus und brachte von dort die Krätze und den Namen Karl Dargies mit, eines Deutschen, der in der Haft an seiner Seite gestorben war. So baute er sich eine neue Existenz auf, notariell bestätigt 1950 in Worms.

„Ich bin der Bindestrich zwischen zwei Menschen, das Pendel zwischen zwei Welten“, sagt Ann Dargies, die im Spiel immer wieder die rote Nase des Clowns aufsetzt, aber dabei nicht zur Spaßmacherin wird. Die Geschichte ist ja auch bestenfalls tragikomisch, die Biografie bitter, und bis Frau Clown sich zu Wort meldet, vergeht auch erst mal eine Viertelstunde, in der wir Fragen hören: „Ist Leben legal? Wäre Flucht eine Option? Wozu Grenzen?“ Das geht sehr lange und eher leise so. Zwischen Moral und Metapher werden die Fragen bald zum Mantra, rütteln nicht mehr auf, sondern lullen ein. Dabei ist die Geschichte, die Theater Transit hier erzählt, ja im Grunde unglaublich packend. Doch die Inszenierung, entstanden im Kollektiv von Ann Dargies, Autorin Michaela Bochus-Hirsch und den Regisseuren Mahfam Nozhatshoar und Konrad Büttner, entfaltet erst gegen Ende der 80 Minuten jene Dringlichkeit, die drin steckt.

Zuvor ist die Stimmung gedrückt, Ann Dargies nimmt ihre Figur immer wieder nachdenklich zurück, wenn sie Kostüme, Rollen und Zeitebenen wechselt, agiert eher introvertiert mit Kinderwagen, Stempeln und Pässen. Auch Licht und Ton setzen keine Akzente dazu. So umkreist „Illegal ein Leben lang“ sein Thema hörspielhaft auch dort, wo man sich einen beherzteren Zugriff wünschen würde. Aber diese melancholische Zurückhaltung ist dem Text eingeschrieben. Das Stück selbst meldet sich – origineller Kunstgriff – an einer Stelle zu Wort aus dem Off und bekundet: „Ich hoffe, dass ich als Stück irgendwann ausgedient habe. Ich wäre gern historisches Material und nicht aktueller Brennstoff.“

Ja, das Thema ist leicht entflammbar. Theater Transit sucht denn auch nicht nach dramaturgischem Brandbeschleuniger, weshalb das Spiel lange nicht recht zündet. Erst am Ende agiert Ann Dargies forscher, wird der Clown kess: „Denken Sie dran, ich kann lügen!“ Dann lutscht sie Birkenkohle gegen die Ruhr wie einst der Vater, streckt die schwarze Zunge raus, greift zur Wodkaflasche, leert sie und spielt Flaschendrehen: Einer fliegt heute Abend raus. Zu viele Fremde mit falschen Namen, da muss Abschiebung sein! Es trifft eine Dame in der ersten Reihe. Ann Dargies geht mit ihr. Schließlich könnte es Karl Dargies heute auch so gehen.

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2018-10-02

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