Kulturschock: Theater tut Not

Performance: Die Darmstädter Regisseurin Ann Dargies inszeniert eine szenische Totenbeschwörung in El Salvador

DARMSTADT/EL SALVADOR.

Wenn das kein Welttheater ist: Eine salvadorianische Theaterpädagogikstudentin aus Lingen an der Ems überredet ihre Darmstädter Dozentin, in der zentralamerikanischen Hauptstadt San Salvador mit Schauspielern, die an den Methoden des Russen Konstantin Stanislawski geschult sind, ein Projekt im Stile des polnischen Regisseurs Tadeusz Kantor anzugehen. Die Schauspielerin Aida Bernal, die im kommenden Semester ihren Fachhochschul-Abschluss angeht, hat ihre Lehrerin Ann Dargies vom Darmstädter Theater Transit für die Sache begeistert: über drei Wochen Proben für eine Performance in einem Land, das von Bandenkriminalität erschüttert und noch immer vom Bürgerkrieg (1980 bis 1991) geprägt ist.

Zu verdienen gab es für Dargies und ihre fünf Mitstreiter aus Darmstadt und Osnabrück nichts – und doch war der Ertrag reich, sagt die Gründerin von Theater Transit, die Ende Juli aus El Salvador zurückgekehrt ist und sich jetzt auf die nächste Premiere vorbereitet: ,,Es ist ein Land, wo du das Gefühl hast, Theater ist noch viel stärker Sprachrohr für Anliegen der Menschen. Die Leute wollen es in jeder Pore. Dort hat man das Gefühl, gebraucht zu werden“, sagt Dargies, die – zurück in der hessischen Heimat – noch am Kulturschock knabbert. In Darmstadt muss sie sich damit herumschlagen, dass an der Kulturförderung gespart wird. Auch ihr Transit-Team leidet unter der Darmstädter Zuschuss-Sperre für freie Gruppen. In El Salvador gibt es kein Geld vom Staat, und doch wirkt die Kunst enorm wertvoll. ,,Das macht mir den Einstieg hier schwer“, seufzt Dargies. Sie hat ein Land kennen gelernt, wo Theater in Bürgerkriegszeiten verboten war, die Kunst noch heute keinen festen Schutzraum hat, es aber enorme Spielfreude und eine erstaunliche Professionalität gibt. Unterstützt von einer privaten Schauspielschule in El Salvador, die Konstantin Stanislawskis Lehren zur Einfühlung in eine Rolle verschrieben ist, hat Ann Dargies mit Hilfe der Initiatorin Aida Bernal über die deutsch-spanische Sprachgrenze hinweg mit rund 20 Akteuren das ,,Theater des Todes“ des Polen Tadeusz Kantor (1915-1990) eingeübt. ,,Jeder Teilnehmer sollte einen Toten rufen, der etwas zu erzählen hat. Das erfordert eine Beschäftigung auch mit dem eigenen Tod, was wiederum, eine Ausstrahlung von großer Lebendigkeit erzeugt“, erklärt Dargies.

Das Land

El Salvador ist der kleinste Staat in Zentralamerika, grenzt im Nordwesten an Honduras, im Nordosten an Guatemala und im Süden an den Pazifik. Das Land mit 7,3 Millionen Einwohnern ist so groß wie Hessen, die Hauptstadt El Salvador hat über 500 000 Einwohner. Im Bürgerkrieg von 1980 bis 1991 starben 70 000 Menschen.

,,Im Anblick des Todes das Leben feiern“, war das Motto für ein Aktionstheater in einem Park: eine zweistündige Prozession von einer Gedenktafel für die Opfer des Bürgerkriegs zu einer Arenabühne; eine Wiederauferstehung von großen Toten wie dem ermordeten spanischen Dichter Gabriel Garcia Lorca und dem erschossenen salvadorianischen Erzbischof Oscar Romero ebenso wie von unvergessenen Angehörigen aus dem Umfeld der Schauspieler. Für die Salvadorianer bleibt die Hoffnung, dass der Austausch keine Einbahnstraße ist, Goethe-Institut und deutsche Hochschulen die frisch formierte Gruppe nach Deutschland holen könnten. Und für Ann Dargies bleibt ein starker Eindruck: ,,Selten hab‘ ich es so deutlich gespürt wie durch diese Begegnung: Theater wird gebraucht, Theater muss sein!“

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