»Wege zu essentiellem Spiel«

Interview Irmi Bibermann mit Ann Dargies, Innsbruck 9.07.2007

Wie kommen Schauspieler/innen zu authentischem Spiel?

Meine Methode basiert auf dem Glauben, dass der Mensch gerne gut bei sich sei möchte. Meine Arbeitsweise ist davon bestimmt, dass ich um diese große Sehnsucht weiß. Durch Mut zum Schmerz und Mut zur Ekstase kommen SchauspielerInnen zu authentischem Spiel. Und das ist mehr als Mut zu Gefühlen.

Die SchaupielerInnen sollen Zutrauen zur eigenen Kreativität gewinnen, zu Kreativität im Sinne von Lösungen finden für eine Herausforderung, für die gesteckten inhaltlichen und künstlerischen Ziele.
Ekstase heißt Aufgeben von Kontrolle. Ich gebe mich in Probenprozessen soweit hin, dass ich mich gerade noch im Griff habe und in manchen Augenblicken völlig. Das bedeutet für mich Vergessen von Zeit, Verabredungen, allem rund um mich herum, totales Aufgehen in einer gesetzten Spielaufgabe. Dafür braucht es die Bereitschaft zum Loslassen von Zielvorstellungen, Ergebnis-, Produktorientiertheit. Da zählt nur der Moment und es erfordert Mut, sich vom eigenen Tun und von dem der anderen überraschen zu lassen und es ist ein überaus lustvolles Gefühl, wenn es gelingt. Es braucht parallel die Vermittlung eines fundierten Schauspielhandwerkes, welches als Gestaltungsfähigkeit dem Spielenden zur Verfügung steht, erfahrbar gemacht wird oder aber es ist bereits vorhanden.
Meine Technik ist es zu verführen: zunächst gilt es eine Atmosphäre des Vertrauens zur Leitung bei den Einzelnen und beim Ensemble aufzubauen, Übungen anzubieten durch die Schamabbau passiert, wo lustvolle theatrale Veräußerung geschehen kann. Ich führe dabei die Regeln des Zusammenspiels ebenso wie die Regel der solistischen Veräußerung ein.Die Schauspieler/innen werden ermutigt, sich in allen Handlungen völlig ernst zu nehmen, wie es z.B. in sehr ausgeprägter Form der Bühnenclownfigur tut. Das Bemühen alles, was während des Spielens um mich herum ist, ernst zu nehmen: den Raum, die Spielaufgabe, die Überaufgabe, mich selbst, meine Mitspieler/innen ist für die Erarbeitung von authentisches Material unerlässlich. Als Leiterin bemühe ich mich, ein Arbeitsklima zu schaffen, das Intensität ermöglichlicht, um die Spieler/innen zu verführen, sich völlig auf Spielaufgaben einzulassen.
Verführung verstehe ich als Angebot, als Einladung an die AkteurInnen sich zu verspielen und sich dabei selbst auf die Spur zu kommen. Sie brauchen dafür Entschiedenheit. Angst vor Veränderung oder innere Eitelkeit, die die Zensurschere zum Einsatz bringt, die abschneidet, was nicht als attraktives veräußerbares Material angesehen wird, hindert den Spielfluss, verunmöglicht Hingabe an das Spiel. Ich muss mich als Schauspielerin entscheiden, ob ich mich auf ein Thema einlassen will, die Verführung zulassen möchte. Dabei ist auch positive Angst wichtig als Schutz für zu persönliches Material. Ich warne jedoch vor Sätzen wie „Ich bin eben so“, denn das sind Aussagen, die festschreiben, die Wandel verhindern.

Wie wird die Sehnsucht von allen, ihrem Wesenskern entsprechend, im Spiel geweckt und genährt?
Es gilt im Schmerz gestalterische Lösungen und dadurch neue emotionale Befindlichkeiten zu entwickeln. Dem Schmerz gegenüber steht die große Angst vor Veränderung. Ich möchte in meiner Theaterschule dazu ermuntern, das Leben mehr als Möglichkeit, als Spiel zu sehen. Eine mir wichtige Erkenntnis aus eigenen Probensprozessen ist: im Blick auf die Endlichkeit bahne ich mir einen Weg, um die

Angst vor Veränderung zu überwinden und damit die Schichten abzutragen, die sich um mein Innerstes als Schutzwall gebildet haben. Das bedeutet auch, dass es für diese Art der Theaterarbeit halbwegs gesunde, stabile Persönlichkeiten braucht.
In meiner Arbeit geht es mir darum, Spielangebote zu schaffen, mit denen ich Schmerz, Ekstase, Überraschung, Motivation und Freude auslöse. Ich gehe von der Annahme aus, dass der Mensch grundsätzlich seine Eindrücke ausdrücken möchte.

Hier stütze ich meine Arbeit auf jene eines großen Vorbildes, George Tabori. Er sagt: den Probenprozess gestalte ich so, dass es mir wie den SchaupielerInnen gelingen möge, um die Ecke zu schauen, um völlig überrascht zu werden von mir selbst und dem erarbeiteten Probenmaterial. Es erfordert von allen das Bewusstsein, dass sehr vielschichtig gearbeitet wird, ein Material hervortritt, welches gespeist ist, von einer hohen Authentizität und von dem letztendlich nur 10% auf der Bühne sichtbar wird.“ „Gestrichenes schimmert im Dunkeln“. (Mein Kampf G.Tabori)

Ich denke mir auch immer wieder Situationen aus, in denen Blickwechsel passieren. Dabei schauen die Spieler/innen mit neuen Augen auf Arbeitsergebnisse, fassen den Mut, sich Gedanken und Gefühlen zu stellen und letztlich sich zu verwandeln. Unter Blickwechsel verstehe ich, dass ich die Spieler/innen z.B. mit den Augen des Clowns auf Spielsituationen bzw. das erarbeitete Material schauen lasse. Der Clown sieht Probleme grundsätzlich als Geschenke, als Herausforderung, er sucht immer wieder Möglichkeiten mit Stolpersteinen zu spielen. Manchmal lade ich die Spieler/innen auch ein, mit den Augen eines neugierigen Kindes, eines / einer weisen Alten oder von Toten (Tadeusz Kantormethode) ihr erarbeitetes Material zu betrachten.

Wie kommen Theaterfiguren insbesondere jene mit hoher Stilisierung zu höchst möglicher lebendiger Ausstrahlung und Verwandlung?
Für meine Art der Regie ist die Bereitschaft der Spieler/innen an Wandel zu glauben, eine wichtige Voraussetzung.
Im Prozess der Verführung mache ich den Spielenden neben den unterschiedlichen Methoden des Schauspielhandwerkes viele zusätzliche Angebote zur Gestaltung des erspielten persönlichen Materials, wie dramatisches Schreiben, Malen, bildnerisches Formen oder Gestalten von Räumen (Bühne), Kostümen. Ich verfolge dieses Konzept für die unterschiedlichsten Inszenierungen. Für die Umsetzung einer dramatischen Vorlage ebenso wie für themenorientierte Eigenproduktionen, für Bühnenstücke wie für Ortsbespielungen und Performances.

Ich trau mich Verführerin für einen solchen Spielprozess zu sein, weil ich zum einen als Schauspielerin seit 20 Jahren diesen Weg gehe und ständig auf diese Weise theatrales Material zu meist existentiellen Fragen in unseren Inszenierungen kreiere und weil ich zum anderen als Regieführende den Anspruch habe, auf der Bühne nur Material zu präsentieren, welches für viele Menschen ein spannendes Zeichen ist.

Als Lehrende in unterschiedlichen Bereichen des Schauspiels, nehme ich mir heraus meine Erfahrungen in künstlerischen Prozessen sehr genau zu sezieren, zu reflektieren und didaktisch für meine Lehre aufzuarbeiten. Daraus prägen sich ein eigener Stil in der Schauspiellehre und ein eigener Stil in der Regie. Er kann erfahren werden in der Transit Akademie, der Schule für Ensembletheater und bei AuftraggeberInnen welche mich auch wegen dieser Besonderheit anfragen. Und er wird sichtbar in den Inszenierungen und Werkstattergebnissen von Theater Transit.

Von den AkteurInnen fordere ich Mut und Lust auf Wandel. So können sie in den von mir initiierten Proben und Lehrprozessen erleben, welcher Genuss in der Ver-Wandlung und in der Rollenvielfalt liegt und bei der Frage: was kann / könnte ich noch alles sein, welche Möglichkeiten stecken noch in mir prickelnde Neugierde spürend. Und in den intensivsten Momenten geben sie sich dem Zauber der Ver-Wandlung völlig hin. Leichtigkeit und Tiefe, das Lachen wie das Weinen eingeschlossen.

Ann Dargies Juli 2008

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